Der Versuch vor meinem 60. Geburtstag ans Mittelmeer zu gehen und dabei als Selbständiger auch zu arbeiten.
Von Steyr nach Valun – zu Fuß
In der TV-Serie „Der Sonne entgegen“ fuhr der junge Erwin Steinhauer alias Wickerl Havratil nach Valun auf der kroatischen Insel Cres. Wegen des Films ist das Dorf seit 30 Jahren unser familiäres Urlaubsziel. Jetzt wollte ich einmal zu Fuß dorthin. Die Oberösterreichischen Nachrichten berichteten darüber.
Ende August um halb fünf dämmerte es in Garsten. Das Abenteuer kann beginnen. Nach 30 km entlang der Enns war Zeit für einen Mittagsschlaf in der Reichraminger Schallau-Arena. In der Abendsonne erreichte ich Brunnbach im Hintergebirge. Lange Tagesstrecken so zweizuteilen ist einer der guten Ratschläge aus dem historischen „Reise-Taschenbuch für junge Handwerker und Künstler“.
Weiter Richtung Meer ging es durch den Nationalpark Kalkalpen zum Hengstpass, über den Seeboden mit seinen sanften Almwiesen und schroffen Felsformationen, zum Admonterhaus und steil bergab nach Admont. Für eine Übernachtung auf der Laussabaueralm muss man die Sennerin vorab telefonisch überzeugen. Alle anderen Nächte in Gasthäusern, Ferienwohnungen oder Hotels wurden stets tags zuvor auf Internet-Plattformen gebucht.
Ab hier war die Steiermark zu durchqueren. Der Eisenbahnknotenpunkt Selzthal und der Bergbauort Lassing waren eine Lektion in Wirtshaussterben. Sechs Gasthäuser standen zu verpachten, Mittag- oder Abendessen gab es keines. Die lapidare Auskunft in der Ferienwohnung: „10 km sind es zum nächsten Wirt.“ Da bräuchte man jetzt ein Auto. Energieriegel mussten somit vor dem Einschlafen und zum Frühstück reichen.
Der schmerzhafte Muskelkater der ersten Tage verschwand rechtzeitig in Donnersbachwald. Hier wartete der Aufstieg zum höchsten Punkt der Tour, das Glattjoch (1.990 m). Der alte Saumweg, heute zu Beginn ein Forstweg und dann über Stunden ein schmaler Steig, führte mich nach Oberwölz. Hier entlang wurden über Jahrhunderte Salz in den Süden und Eisen in den Norden transportiert. Nach Ausschlafen und einem Kaffeehausvormittag in der kleinsten Stadt der Steiermark nutzte ich Regenpausen, um nach Murau zu kommen – direkt zur „Bierapotheke“, in der die gesamte Palette der lokalen Brauerei verkostet werden kann.
Die nächsten Tage waren klösterlich. Eine Nacht mit Vesper und Morgenritualen in der Klausur von St. Lambrecht. Eine stille Welt mit vier sehr wohlwollenden Mönchen. Aber eine Welt, die mir fremd blieb und am Aussterben scheint. Die erste von fünf Stationen in Kärnten begann beim Erntedankfest der Feuerwehr Grades. Zum Abendessen hat mir die freundliche Sandwirtin dann Kärntner Kasnudeln zubereitet.
Die Tagesetappen pendelten sich zwischen 20 und 30 km ein. Gegen Blasen an den Füßen half intensive Hirschtalgbehandlung. Ich war froh, den Rucksack mit 8 kg sparsam gepackt zu haben.
So erreichte ich das Klosterhotel in Gurk, wo zumeist der Pilgerweg endet. Auf meinem Weg war es Halbzeit.
St. Georgen am Längsee belohnte mit dem herrlichen Stiftshotel. Die Rast im Natur-Klostergarten und das „Slow Kitchen“-Abendessen im gläsernen Speisesaal sind empfehlenswert. Kulinarisch überraschte auch Maria Saal. Dort angekommen fragte ich hungrig im einzigen Gasthof, ob ich essen kommen könne. Die mundfaule Antwort: „Wenn Du unbedingt willst.“ Ich stelle mich auf lauwarme Würstel ein. Aber es wurde das besten Abendessen meiner Reise: Ochsenherztomaten mit Burrata, danach Kürbisnudeln auf perfekt gegartem Gemüse. Der Espresso und das Herbstbier aus der Brauerei Hirt waren erstklassig. In der heraufziehenden Nacht war über den Karawanken die angekündigte Wetterkatastrophe schon zu sehen.
Am nächsten Tag hieß es Regenzeug auspacken und im Nassen nach Klagenfurt marschieren. Durch die Landeshauptstadt nahm ich den Bus und trocknete meine Schuhe – mit Zeitungspapier, wie ich es von meiner Mutter gelernt habe – im Ferlacher Gasthaus Post. Am Loiblpass lag morgens Schnee, die Hochwasserkatastrophe des September 2024 war im Anmarsch. Das bedeutete drei Tage Zwangspause. Mit dem Zug nach Hause, Wäsche waschen, ausruhen und dann wieder zurück nach Ferlach.
Über die alte Loiblpass-Straße erreichte ich Slowenien. Direkt am Passübergang stehen Obelisken, die erstmals 1728 zur Erinnerung an eine Reise Kaiser Karl VI errichtet wurden. Diesen Herrscher zog es ebenfalls der Sonne entgegen. Er wollte einen Schifffahrtskanal Wien–Triest bauen lassen, geworden ist es eine Pferdewagenverbindung. Aber auch das war damals eine Meisterleistung.
Bisher folgte ich immer Pilgerwegen: Klosterweg nach Admont, danach nördlicher und südlicher Hemmaweg bis zur slowenischen Grenze. Nun war ich ohne Markierungen auf möglichst direktem Weg Richtung Kvarner-Bucht unterwegs. Ohne die KartenApp AlpenvereinAktiv wäre ich verloren gewesen.
Vom Loiblpass waren es drei Tagesetappen auf Radwegen nach Ljubljana, ex-jugoslawischen Besonderheiten in Form von Abendessen und Geschichtserinnerungen inklusive. In Kranj riet so die Hotelchefin zu Pljeskavica und Cevapcici in „Das ist Walter“. Das Lokal heißt nach dem jugoslawischen Kultfilm „Walter verteidigt Sarajevo“.
Dieser erlangte am Balkan Popularität und begeisterte mit der beeindruckenden Darstellung des Widerstands gegen die deutschen Besatzer. Dazu passend treffe ich in jedem slowenischen Dorf auf Denkmäler, die es in Österreich nur ganz selten gibt. Jugoslawische aber heute noch gepflegte Monumente gedenken dem Partisanenkampf gegen die Nazis.
Südlich der slowenischen Hauptstadt suche ich mir auf Pfaden einen Weg durch den Laibacher Sumpf Richtung Borovnica. Dort stand der längste Südbahn-Viadukt am Weg nach Triest. Heute sieht man nur mehr eine Säule, alles andere wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Viadukt bedeutet, dass Berge in der Nähe sind. Die Idee vom Loiblpass, dass es bis zum Meer nur mehr bergab ginge, stellte sich als Irrtum heraus. Einmal noch über einen Höhenzug, den sogenannten grünen Karst.
Der Cerknica-See kann so von oben bestaunt werden. Zu manchen Zeiten ist hier mit 38 km² das größte Gewässer Sloweniens, manchmal verschwindet dieses fast gänzlich in den Löchern des Karstes und ist für Monate eine trockene Weide. Schon Immanuel Kant staunte darüber auf seinen Reisen.
Ein Jahr vor meiner Wanderung startete ich in meine berufliche Selbstständigkeit. Somit war der Laptop Teil meines Gepäcks. Neben täglichen Fußwegen arbeitete ich an meinen Projekten. Manche sagt mir, es sei verrückt – ich mochte es. Videomeetings an Tagesrandzeiten lassen sich vereinbaren und sind akzeptiert, Berichte schreiben sich nach der Anstrengung leichter, Telefonate beim Gehen sind oftmals produktiver. Eine beschränkte Zeit lang ist das möglich, nicht zuletzt, weil sich beim Gehen neue Sichtweisen eröffnen.
Die weiteren Etappen führten über die kroatische Grenze nach Rijeka. Seit drei Wochen freute ich mich auf den Augenblick, wenn das Meer zu sehen ist. Nebel und verhangene Sicht taten meinem Glück keinen Abbruch. Schließlich setzte ich nach Cres über, wanderte noch einmal bergauf zur Konoba Bukaleta in Loznati. Hier gab es als Belohnung Lammleber an Polenta. Das letzte Stück führte über Schafweiden entlang an den typischen Steinmauern hinunter in das Fischerdorf Valun. Die Ankunft im strömenden Regen war dann so gar nicht „der Sonne entgegen“, aber um nichts weniger schön.
Nach 455 km zu Fuß und 10.800 Höhenmetern brachte mich ein Linienschiff durch die Kvarner-Bucht nach Rijeka und der Zug nach Hause.
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